Turbulenz als Moment der Klarheit
Pressetect 2003 ©Bettina Gaertner
 
Während sich andere in Widersprüchen verheddern, ist die Rätselhaftigkeit des Gegensätzlichen Kraftquelle für Bettina Frenzel. Sie hält am stillsten, wenn das Tempo am rasantesten ist, sie bleibt am Rand, um den Blick unverwandt auf das zentrale Geschehen zu richten.

Die Stationen ihres Lebens helfen uns, zu verstehen, woher sie diese Energie schöpft. Nach vier Jahren in Belgien zieht die aus dem Gebiet der ehemaligen DDR stammende Familie weiter nach Wien. Nach der Schulzeit studiert Bettina Frenzel - jüngste von drei Schwestern - hier zunächst Architektur, bevor sie eine Ausbildung zur Fotografin absolviert. Sie weiss schon jetzt: Mit dem, was die Fotografie als Durchschnittsberuf bietet, wird sie sich nicht begnügen. Und so überwindet sie diese Grenzen. Weil sie gar nicht anders könnte. Keine Kompromisse. Macht sich einen Namen in Theaterkreisen. Die Theateravantgarde entdeckt schnell, dass die Bildsprache der Bettina Frenzel eine transzendente Botschaft jenseits vieler Worte ist.

Sie befreit das Medium Fotografie aus dem Korsett der Exaktheit, sie deckt einen Moment der Wahrheit auf, der, obwohl wir alles zu sehen glauben, an unserer Sinneswahrnehmung vorbei passiert. Sie bringt diesen Augenblick zu Protokoll, erweitert unser Bewußtsein, zeigt auf, wie bereichernd der neue Blick auf das in der Vergangenheit Erlebte für das zukünftige Empfinden ist. Die Wahrheit ist Leitlinie - auch und vor allem technisch. Die Fotos werden präsentiert, wie sie sind. Keine gefällige Ausschnittwahl, keine digitale nachträgliche Korrektur. So hat auch die Genauigkeit, das Exakte, eine neue Rolle.

Schon wieder ein Widerspruch? Das Festhalten des flüchtigen Moments hat für Bettina Frenzel die Dimension von "Malen mit Licht", die Kompromisslosigkeit in der Abstraktion ist ihre Hommage an die Klarheit.

Die Betrachtenden geraten in die Gefahr zu denken, ja. Sie müssen aber nicht restlos verstehen, nein. Denn das Wunderbare ist: Allmählich begreifen wir beim Anschauen der Fotos, dass es sich mit Gegensätzlichem gut leben lässt, wenn wir uns dem einfach überlassen. Wir müssen nicht mehr jeden Winkel hell ausleuchten. ??Wir dürfen auch gerne unseren Emotionen und Assoziationen dabei trauen. Die Turbulenz als Moment der Klarheit empfinden. Verstanden haben wir das alles möglicherweise schon längst, begreifen passiert irgendwann ohne unser Zutun - vielleicht dann, wenn wir uns die Fotos "Turbulenzen - Fotos wider die Erstarrung" anschauen. Wahrscheinlicher als sonst, dass es hier mit uns geschieht. Und das ist die Leistung von Bettina Frenzel, Fotografin.

Die Mischung aus deutschem, belgischem und wienerischem Leben hat sie ganz hell und wach gemacht. Feinfühlig für das Eigene und das Andere, die neue Sicht auf das Offenkundige, die Dokumentation von turbulenten Momenten wider die Erstarrung. Sie selbst sagt über sich: "Die paar Jahre in Belgien, das Übersiedeln nach Wien, die deutschen Eltern, die Verbindung zur ehemaligen DDR ... mein Zugehörigkeitsbegriff ist sehr aufgeweicht. Heimat hängt mit Menschen zusammen, mit Wärme. Erstarrung habe ich mir nie gewünscht. Sie war auch nie möglich. In meinem Leben ist immer alles in Bewegung, oft turbulent ... Bewegung ist wohl so etwas wie mein Lebensthema."
Pressetext ©Bettina Gaertner


Turbulenzen – Fotos wider die Erstarrung
(Ausstellungseröffnung durch Michael Vogler, 4.Mai 2003 im Schloss Neschwitz)

Sehr geehrte Damen und Herren,?verehrte Frau Bettina Frenzel, verehrte Frau Grit Berkner,?ich begrüße Sie, werte Kunstfreunde auf Schloss Neschwitz.
Die Musik, das Wort, die Grafik, die Plastik, die Fotografie – allesamt in schöner Architektur und umgeben von wohlgestalteter Natur. Dieser Nachmittag frönt der Kunst in geradezu üppiger Weise. Mir ist es zugefallen, als erstes würdigende Worte für die beiden Künstlerinnen im bildnerischen Bereich zu finden. – Aber auch in Vorfreude auf die Musik zu sein.

In den unteren Räumen des Hauses hat Grit Berkner aus Halle ihre Arbeiten versammelt. Manch einer kann sich durch ihre beeindruckenden Plastiken seit dem letzten Bautzner Herbstsalon den Namen der Künstlerin gut merken. Denn die Köpfe der Grit Berkner, meine Damen und Herren, atmen in ihrer klassischen Formensprache eine gelassene Gleichgültigkeit! (Man denke an Robert Metzkes) Nur im ersten Augenblick wollen sich Melancholie, ja Wehmut in unseren Köpfen ansiedeln – aber ich denke, diese Arbeiten haben in der Schönheit und Stille eine Ernsthaftigkeit, die uns letztendlich beschwingt und glücklich macht. – Und sie können uns an die Ehrfurcht vor dem Leben gerade in dieser Zeit eindrücklich erinnern.?Besonders angerührt ist man von den Kinderköpfen. Archaische Züge haben sie. Den kleinsten wähnt man in seiner unendlichen Unschuld geradezu noch im Mutterleib. Man betrachte einmal den nächst größeren Jungenkopf von der Seite – wunderbar!?Die Bronze eines bärtigen Mannes ist, ein zweiter Guss, eine Büste des Georg v. Werthern – Beichlingen und war Auftrag für ein Schloss an der Unstrut – unikathaft wirkt er zwischen den anderen Arbeiten.?Die Radierungen und Lithografien bei Grit Berkner haben zu den Plastiken eine Hinführung und Entsprechung – zwar ist in diesen Grafiken die Sehnsucht nach vergangener Zeit aufzuspüren, aber die Grundeinstellung der Künstlerin zum menschlichen Antlitz bewirkt bei mir eine Zuneigung, die man gerne zulässt und die ein Gegenpol zu manch’ allzu locker aufspielender Kunstproduktion sein kann.

Frau Berkner wurde 1966 in Altenburg geboren. Nach Schule, Beruf und Praktikum studierte sie von 1991 – 2001 an der Hochschule für Kunst & Design in Halle in den Fächern Plastik und Grafik. 2001 erhielt sie ihr Diplom.

Werte Damen und Herren.? Von ganz anderer Art sind die Arbeiten der Fotografin Bettina Frenzel aus Wien, die wir in den oberen Räumen des Schlosses finden können.?Frau Frenzel wurde 1965 in Belgien geboren. Die Eltern, Mutter in Magdeburg, der Vater in Bautzen geboren, reichen näher an unsere Landschaft heran. So hat die Tochter durchaus eine Beziehung zur Lausitz entwickeln können, wenngleich sie seit 1969 in der Stadt an der Donau lebt und arbeitet.?Von 1987 – 1989 weilte sie im Kolleg für Fotografie an der „Graphischen“ in Wien, danach war sie bis 1993 Assistentin bei Luis Steinkellner, Inge und Paul Prader sowie bei Michael Rathmayer. ?Seit 1993 arbeitet die Künstlerin als selbständige Fotografin, Studio in Wien. ?Die Schwerpunkte ihres Tuns sind Tanz, Theater und Performances. Unter vielfältigsten Arbeitsplätzen und bei progressivsten Aktionen sind solche klangvollen Namen wie die Editta Braun Company zu nennen. Aber noch viele andere mehr.?Die die Zeichen der Zeit erkennenden und vorantreibenden multikulturellen ja hochkünstlerischen Ereignisse sind ganz sicher Triebkraft und ein Grund für die herausragende Qualität in den Arbeiten der Bettina Frenzel.?Ihre Bilder schwingen weit weg von der klassischen Fotografie – wiewohl sie der Kamera traut und bewusst auf die digitale Einflussnahme verzichtet.?Ich meine, dass diese Enthaltsamkeit den Werken gut tut. Sie haben in ihrer Wucht aber auch in der verhaltenen Dynamik eine Wirkung, die den eigentlichen Anlass und Inhalt verblassen lässt und eine ganz neue Realität schafft. ?Das Farbspiel erinnert an Malerei, Francis Bacon klingt an, leuchtet auf.?Wenn Bettina Gaertner, Communicatorin in Sachen Kunst, behauptet, dass für B. Frenzel in der Rätselhaftigkeit des Gegensätzlichen eine Kraftquelle lagert – so hat sie wohl recht.?Inmitten der gut gehängten großformatigen Farbfotografien fühlt man sich im alten Schloss unter dem Dach plötzlich inmitten von tanzenden und musizierenden überaus lebendigen Menschen. Fast wünscht man sie sich in den Park hinaus um auch ihn zu verwandeln. „Turbulenzen – Fotos wider die Erstarrung“, so ist doch der Titel dieser Ausstellung?

Meine Damen und Herren, es ist ganz bestimmt ein glücklicher Umstand, dass in diesen Tagen diese beiden höchst verschiedenen Kunstformen und –absichten zusammengekommen sind und dabei sich gegenseitig aufwerten (und vielleicht kostbarer machen).

Liebe Kunstfreunde, wenn wir deutschsprachigen Leute nicht so recht weiterwissen und das Beurteilungsdilemma zubeißt, dann greifen wir gerne und dankbar zum alten J.W.v.Goethe, der dazu trostspendend gesagt  hat: „Die wahre Vermittlerin ist die Kunst. Über Kunst sprechen heißt die Vermittlerin vermitteln zu wollen ...“
Ich danke Ihnen!
©2003 Michael Vogler


Turbulenzen – Fotos wider die Erstarrung

zur gleichnamigen Fotoausstellung Bettina Frenzels
(Ausstellungseröffnung durch Michael Kos, 15. Mai 2004, Galerie Umschaid, Herrnbaumgarten)

„Die Fotografie ist die Möglichkeit, meinen ganz eigenen Blick auf die Arbeit anderer zu werfen und mit meinen Fotos wiederzugeben, das Licht als Pinsel zu benutzen und durch mein Resultat wiederum andere, oft neue Assoziationen zu erwecken oder impliziert vorhandene zu verstärken.“
aus dem Ausstellungskonzept von Bettina Frenzel 2003

In der langen Geschichte der Malerei hat vor der Erfindung der Fotografie ein bestimmtes Sujet keine nennenswerte Rolle gespielt: Das Geschwindigkeitsbild.
In einer humorvollen Paradoxie hat diesen Umstand ein amerikanischer Maler in den 90er Jahren thematisiert: auf seinem Gemälde war, als Zitat der berühmten Selbstbildnisse, wo sich Maler beim Malen malen, also ein Bild im Bild zu sehen ist, die wenig idyllische Landschaft einer Raketenbase zu sehen, von der gerade das Spaceshuttle auf seinen Trägerraketen wegstartet. Und haargenau dasselbe Bild wiederholt sich auf der Staffelei des Malers. Ein solches Gemälde ist natürlich paradox.

Aber es greift eben die Eigentümlichkeit der Malerei auf, die Geschwindigkeitsbilder im gewöhnlichen, fotografischen Sinn eben nur simulieren kann. Es spielt mit der Unmöglichkeit des Mediums und führt auf das Problem der Abbildbarkeit von Bewegung hin, dh. es nimmt somit das alte Gespräch wieder auf, das seit gut 150 Jahren zwischen der Malerei und der Fotografie geführt wird. Dieses Gespräch war letztenendes ein gegenseitig sehr befruchtendes, und wenn Bettina Frenzel von Ihren Fotos sagt, es seien Malereien mit Licht, so ist die Wechselwirkung konkret angesprochen.
Wenn ich erwähne, daß das Geschwindigkeitsbild in der Malerei vor der Fotografie nicht relevant war, heißt das nicht, daß es keines gegeben hätte. Unter denen, die es gab, ist ein Motiv bedeutsam für die Geschichte der Fotografie geworden: das berühmte galoppierende Pferd. Berühmt ist das Pferd übrigens geworden, weil es falsch galoppiert ist.

Es war eine technische Leistung der Fotografie, diesen Fehler zu entdecken. Genaugenommen war es eine der Bewegungsstudien von Eadweard Muybridge (um 1890), die gezeigt hat, daß ein gallopierendes Pferd alle seine Füße zu jenem Zeitpunkt in der Luft hat, wenn sie unter dem Bauch gekreuzt sind. Die geläufige Vorstellung der Malerei war bisher eine gegenläufige (Vorder- u. Hinterbeine vom Körper weggestreckt).

Die Fotografie hatte von ihren Anfängen bis hin zu Muybrigde gerade jenes technische Problem zu meistern, das man das Schnappschußproblem nennen könnte. Die Kamera mußte schneller werden als das bewegte Objekt. Nicht umsonst hat sich die frühe Fotografie am Stilleben sattsehen müssen. Je größer die Schnelligkeit des Apparats wurde, desto mehr Analyse gewann die Welt über ihr beschleunigtes Dasein.

Auf den Gallop des Pferdes folgten fallende Wassertropfen und Gewehrkugeln im Flug. In minutiöser, ja in nanosekundenhafter Schärfe hat die Kamera einen künstlichen Stillstand der Dinge erzeugt, eine Erstarrung, die dann zB. das Einzelbild des Films auch als „still“ bezeichnen ließ. Die chronologischen Bewegungssequenzen Muybridges (nackte Sportler etc.) haben ihre Rolle zur Erfindung des Films und des Kinos beigetragen. Kurioserweise werden sie beim Film ihrer analytischen Qualität beraubt, um dem Auge laufende Bilder vorgaukeln zu können.

Wider die Erstarrung heißt es bei Frenzel, und dementsprechend muß auf einen zweiten Pionier der Bewegungsfotografie hingewiesen werden.
Ein französischer Mediziner namens Etienne Jules Marey hat – fast zeitgleich mit Muybridge – auch fotografische Bewegungstudien erstellt, wobei er jedoch gerade die Trägheit der Kamera ausgenutzt hat. Er heftete seinen Modellen Glühbirnen an die Gliedmaßen und ließ sie Bewegungen ausführen, die er mit langer Belichtung festhielt. Das Ergebnis war nicht nur ein poetisches Bild von vielarmigen, vielbeinigen und multiplen Wesen, sondern mehre noch ein faszinierendes Bild von kohärenten Bewegungen, das im Gegensatz zu Muybridge nicht analytisch, sondern synthetisch ist.

Es ist die eigentümliche Wirkung einer Mehrzeitigkeit, die ja auch in den Fotos von Bettina Frenzel ihre Faszination entfaltet. Die Malerei hat sich sofort durch diese Polychronie (und auch nachhaltiger als durch den Schnappschuß) anregen lassen. „Ein Akt, die Treppe hinuntersteigend“ – so der Titel eines Frühwerks von Marcel Duchamps – war erst jetzt denkbar, nachdem die Fotografien Mareys die Sichtbarmachung einer Bewegungschoreografie geleistet hatten.
Futurismus, Expressionismus, Dynamismus, gestische Malerei – alle diese Kunstrichtungen haben ihre Anleihe bei der synthetischen, fotografischen Aufnahme genommen. Man darf auch ruhig auf Francis Bacon verweisen, der in manche seiner berühmten Bilder von den Kardinälen denselben Bewegungsaspekt der Diffusion hineinlegt, den Bettina Frenzel zB. bei ihrem Foto von „turning talks“ ausnutzt, um die Atmosphäre von Bedrohlichkeit zu erzeugen.
Ihre Fotos üben eine Bildmagie aus, indem sie von der analytischen Inszenierung abrücken und der Bewegung der Objekte deren inneres, kinetisches Geheimnis ablauschen.

Auch wenn die Choreografie ihrer Objekte in manchen Bildern minimal ist und fast zu einem Moment gerinnt, sind Frenzels Fotografien keine, wie man vorschnell meinen könnte, mit einem geschulten Auge erfaßte Momentaufnahmen, sondern viel mehr sind es mit einem geübten Bewegungssinn eingefangene Kopplungen von Momenten. Kein Wunder, daß die Theater- und Tanztheaterszene in diesen Fotos eine so gelungene Übersetzung ihrer Befindlichkeiten sieht.
Kein Wunder, daß diese chimärenhaften, dynamischen und oft androgyn bevölkerten Fotos tasächlich malerische Kompositionen sind, da Bettina Frenzel mit ihrem Pinsel umzugehen weiß.

Wobei abschließend nur zu präzisieren wäre, daß ihr Pinsel imgrunde nicht aus Licht gefertigt ist, sondern aus Zeit.
©2004 Michael Kos